Neues Deutschland, Sozialistische Tageszeitung Dienstag
24. November 2008
Die Kielerin Christina Haverkamp kämpft seit fast zwei Jahrzehnten für die Rechte der Ureinwohner des Amazonas. Als Botschafterin für Menschenrechte pendelt sie dabei nicht nur räumlich zwischen zwei Kontinenten.
Von Dieter Hanisch
Vor den Toren von Kiel ist eine Frau zu Hause, die es sich zum Ziel gesetzt hat, für die Existenz eines der letzten noch weitgehend ursprünglich lebenden Naturvölker dieser Erde zu kämpfen. Seit ihrer ersten Begegnung mit den Yanomami vor knapp 20 Jahren hat Christina Haverkamp kontinuierlich Kontakt mit den Indianern des südamerikanischen Urwalds gehalten. Inzwischen pendelt sie Jahr für Jahr zwischen Deutschland und der Amazonasregion.
Seit nunmehr drei Jahrzehnten wird durch rücksichtslosen Raubbau an der Natur der Lebensraum der Indianer immer weiter zerstört. Das Goldsucherfieber am Amazonas ist wie ein Fluch über die dort lebenden Ureinwohner gekommen. Haverkamp hat sich mit ihrem Engagement zu einer Anwältin für die bedrohten Indianer gemacht, und diese haben die 50-Jährige auf eine ganz besondere Art und Weise ihren Dank und ihre Hochachtung spüren lassen. Wie kaum eine andere fremde Frau wurde die Pädagogin im Kreis der Yanomami aufgenommen. Jedes jährliche Wiedersehen ist mittlerweile zu einem festlichen Ereignis geworden, bei dem Haverkamp wie ein Familienmitglied begrüßt und behandelt wird. Die Indianer haben sie in ihr Herz geschlossen und ihr liebevoll den Namen Kohiba – harte Bohne – verpasst, um auf ihre unerschrockene Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit zu verweisen.
Täglicher Kampf ums Überleben
Die Yanomami befinden sich in einem täglichen Überlebenskampf. Die Jagd muss stets genug für die Mahlzeiten abwerfen, was aber immer seltener gelingt. Die Goldsucher, Minenkonzerne, Ölgesellschaften, Großgrundbesitzer und Holzindustrie greifen immer mehr ins einst so intakte Ökosystem ein, beanspruchen Grund und Boden für ihre Interessen und schrecken vor nichts zurück, ja gehen buchstäblich über Leichen wie im Herbst 1993, als Garimpeiros ein blutiges Massaker an den Yanomami verübten. Selbst die Deklaration eines Schutzreservates durch die Regierung hat die goldgierigen Eroberer lange Zeit nicht zurückgehalten. Mit der systematischen Inbesitznahme des Regenwaldes und damit des Indianer-Lebensraumes haben auch Krankheiten und Seuchen Einzug gehalten, denen sich die Yanomami meist hilflos ausgesetzt sehen.
Erst durch die Goldgräber, die bei der Goldwäsche große Wassertümpel haben entstehen lassen, hat die für die Übertragung des Malaria-Fiebers verantwortliche Anopheles-Mücke beste Voraussetzungen vorgefunden, um ihre Population zu vervielfachen. Auch Zivilisationskrankheiten wie Grippe, Windpocken oder Masern kannten Yanomami vorher nicht. Urplötzlich machten sich vorher nie aufgetretene Tuberkulose-Erkrankungen breit. Eine weitere Hinterlassenschaft der Goldschürfer sind mit Quecksilber verseuchte Flüsse und Gewässer.
Die Schamanen und Medizinmänner schaffen es nicht mehr allein, den todbringenden Krankheiten ihr Wissen und Wirken entgegenzustellen. Sie haben erkannt, dass Krankenstationen und Medikamente unter ihrer Obhut ein positives Arrangement mit der kulturell sonst so fremden und argwöhnisch betrachteten Außenwelt bedeuten. Die Häuptlinge haben begriffen, dass die schlimmstenfalls zur Erblindung führende Augenkrankheit Onchozerkose (Flussblindheit), hervorgerufen durch Fadenwürmer, nun mal nur mit ganz besonderer Medikation behandelt werden kann. Im Grenzgebiet zwischen Venezuela und Brasilien, auf einer Fläche, die der Größe der Schweiz entspricht, zählt man heute rund 24 000 Yanomami. Gerade die auch von Haverkamp angeschobenen Maßnahmen für eine bessere medizinische Versorgung tragen Früchte, denn die in der Zwischenzeit drastisch abgesunkene Bevölkerungszahl der Indianer hat sich in den letzten Jahren wieder erholt.
Expedition mit Rüdiger Nehberg
Die Schleswig-Holsteinerin hatte 1989 nach dem Kennenlernen des Survival-Aktivisten Rüdiger Nehberg in Brasilien ihre erste Begegnung mit den Yanomami. Seitdem lässt das Schicksal dieses Volkes die ausgebildete Sport- und Mathematiklehrerin nicht mehr los. Vor Ort hat sie sich ein Bild gemacht und will nun Aufklärung betreiben und helfen. Das hat sie inzwischen zu ihrer Lebensaufgabe erkoren. Gemeinsame Expeditionen mit Nehberg, ein Aufklärungstrip mit anderen Frauen zur medizinischen Versorgung, eine waghalsige, zusammen mit Nehberg im Senegal gestartete Bambusfloßtour 1992 über den Atlantik, um im 500. Jahr der Amerika-Entdeckung für kritische Öffentlichkeit zu sorgen, und in den vergangenen Jahren regelmäßige Besuche im Regenwald verbunden mit dem Aufbau von Hilfsprojekten – all das kann sie sich auf ihre Fahnen schreiben. Vor zwei Jahren gründete Haverkamp zusammen mit Freunden zudem den gemeinnützigen Verein Yanomami-Hilfe.
1997 ist in Ixima eine erste Krankenstation errichtet worden. Papiu hat gegen den anfänglichen Widerstand brasilianischer Behörden vier Jahre später einen eigenen medizinischen Hilfspunkt samt einer Schule bekommen. Haverkamp hat längst das Vertrauen der Yanomami erworben, und deshalb wählte der Häuptling von Papiu, Joao Davi Maraxi, im Jahre 2002 gerade sie aus, um ihn nach New York zu begleiten, wo er beim Weltkongress für indigene Völker vor der UNO-Generalversammlung in seiner angestammten Sprache Yanomame sprechen durfte.
Auch die Deutsche kann sich inzwischen in dieser Sprache verständigen. Sie plädiert leidenschaftlich dafür, dass die Indianer neben ihrer Muttersprache auch die Amtssprache Portugiesisch bzw. auf venezolanischem Territorium Spanisch lernen, denn nur dann werden sie von Behördenvertretern ernst genommen. Und die weiterhin traditionell in großen Malocas (Rundbauten aus Baumstämmen und Palmenblättern) lebenden Ureinwohner akzeptieren inzwischen auch Steine als Baumaterial für die Krankenstationen und können sich, wissbegierig wie sie sind, auch mit Wasserpumpen, Solaranlage, Generatoren und jeweiliger Funkstation anfreunden, da sie den Nutzen dieser ihnen zuvor unbekannten Dinge erkannt haben und verantwortungsbewusst in eigener Regie damit umgehen.
Die gebürtige Nordhornerin stellt noch einmal klar: „Nichts passiert ohne die ausdrückliche Bitte oder die Einwilligung der Yanomami. Deren tatkräftige Mithilfe ist sogar Voraussetzung und Bedingung. Ein erweiterter Bildungshorizont ist für die Indianer ein Stück Überlebensstrategie. Mit den Funkstationen können sie den Behörden jetzt zum Beispiel illegale Eindringlinge melden.“
Die bislang letzte Krankenstation ist 2005 in Mavaquita entstanden. Sie versorgt etwa 800 Bewohner in sechs Dörfern. In allen drei Gesundheitszentren werden einheimische Indianer zu Krankenpflegern ausgebildet. Nächstes Projekt wird der Bau einer vierten Krankenstation in Ocamo sein, für die die Regierung in Caracas bereits grünes Licht erteilt hat. Auf Haverkamps Wunschzettel steht außerdem noch die Anschaffung eines mobilen Gesundheitsschiffes, um auf dem Amazonas oder dem Orinoko im Süden von Venezuela auch schnellere Hilfe für etwas abgelegener liegende Regionen anbieten zu können. „Im Dezember oder Januar ist es soweit“, umreißt sie ihre Reisepläne. Dann wird Christina Haverkamp auch wieder zahlreiche Moskitonetze verteilen, die gegen die vielen Insektenstiche abends und frühmorgens Schutz bieten.
Bis zu ihrer Abreise wird sie noch einige Schule besuchen und dort mit ihrer Bilderpräsentation und den Regenwald-Mitbringseln der Yanomami den Weltkunde- bzw. Geografieunterricht bereichern. Nach ihren lebendigen und informativen Vorträgen löchern die Schüler sie mit Fragen und bestaunen immer wieder den von ihr mitgeführten Federschmuck, für die Jagd vorgesehene Pfeile, Affenschädel, geflochtene Körbe oder Kalebassen.
Ein Leben in zwei Welten
„Ich lebe in zwei Welten“ hat Haverkamp einmal in einem Interview gesagt. Bequemlichkeiten sind nicht ihr Ding. Sie wohnt bescheiden in einer Wohngemeinschaft ohne jeglichen Luxus. Viermal hat die Malaria sie auch bereits heimgesucht. Und bei einem bewaffneten Überfall im Amazonas-Regenwald hat sie am eigenen Leibe zu spüren bekommen, dass das Leben an einem seidenen Faden hängen kann. Ihre Philosophie: „Menschenrechte sind nicht teilbar“. Dafür tritt sie als unbeugsame Streiterin ein. 1998 wurde ihr dafür in Frankfurt der Weitsicht-Menschenrechtspreis verliehen.