Quelle: Bauernblatt, 14. Mai 2011
Christina Haverkamp setzt sich seit 20 Jahren für die Yanomami-Indianer ein – Leben zwischen den Welten
In diesem Jahr feiert Christina Haverkamp ein besonderes Jubiläum. Seit 20 Jahren setzt sich die Kielerin für die Yanomami-Indianer im brasilianischen Regenwald und in Venezuela ein. Immer wieder hat sie in der Vergangenheit mit außergewöhnlichen Aktionen auf die bedrohliche Situation der Yanomami aufmerksam gemacht. So überquerte sie im Kolumbusjahr 1992 mit dem Menschenrechtler Rüdiger Nehberg auf einem selbst gebauten Bambusfloß den Atlantik. Bauernblatt-Reporterin Silke Bromm-Krieger hat Christina Haverkamp zu einem Gespräch über ihr vielfältiges Engagement getroffen.
Im Moment ist Regenzeit. Also muss der Bau einer neuen Krankenstation zur medizinischen Versorgung der Yanomami warten. Mehrere Monate im Jahr lebt Haverkamp mit ihnen. Doch wenn die Regenzeit beginnt, nutzt die 52-Jährige die Gelegenheit, um in ihrer deutschen Heimat auf Vortragsreise zu gehen und Spenden für ihre Hilfsprojekte zu sammeln.
Südamerikaurlaub verändert ihr Leben
Die Powerfrau mit den wachen Augen kann auf ein außergewöhnliches und abenteuerliches Leben zurückblicken. Als junge Lehramtsstudentin für Mathematik und Sport entschließt sich Christina Haverkamp, eine einjährige Auszeit vom Uni-Stress zu nehmen. Sie will nach Südamerika. „Die Reise hat meinen Lebensweg verändert. Ich habe dort das erste Mal in meinem Leben wirkliche Armut gesehen“, berichtet sie.
Nach ihrer Auszeit kommt sie nach Deutschland zurück, um ihr Studium zu beenden. Im Anschluss entschließt sich Haverkamp, auf einem Segelschiff anzuheuern und dort mit auffälligen Jugendlichen sozialpädagogisch zu arbeiten.
Schon ein Jahr später zieht es sie nach Brasilien. Dort kommt sie in Kontakt mit Rüdiger Nehberg, der ihr von den Yanomami-Indianern erzählt. Bereits seit 1987 setzt sich der Menschenrechtsaktivist für die Yanomami ein. Sie sind eines der letzten noch ursprünglich lebenden Naturvölker dieser Erde. Seit drei Jahrzehnten wird ihre Existenz von Goldsuchern, Großgrundbesitzern, Minenkonzernen und der Holzindustrie bedroht. Durch den rücksichtslosen Raubbau an der einzigartigen Natur wird der Lebensraum der Indianer zerstört, und Krankheiten wie Malaria werden eingeschleppt.
Expedition mit Rüdiger Nehberg
Als Christina Haverkamp Nehberg fragt, ob sie an seiner nächsten Expedition zu den Yanomami teilnehmen darf, stimmt er zu. 1990 bricht sie mit ihm zu den Indianern auf. Was sie dort erlebt, erschüttert sie: „Ich habe viele Yanomami sterben sehen, nur weil medizinische Hilfe fehlte.“ Sie empfindet eine tiefe Dankbarkeit, in Deutschland geboren zu sein, und sieht dieses Privileg als unbedingte Pflicht an, anderen Menschen in Not zu helfen. 1991 führt sie deshalb eine Frauenexpedition mit medizinischer Hilfe und finanzieller Unterstützung des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums durch. Es folgt 1992 eine Protestfahrt auf einem Bambusfloß mit Rüdiger Nehberg, vom Senegal über Brasilien und die Karibik bis hin zum Weißen Haus nach Washington. Hier protestieren die beiden Deutschen gegen den Völkermord und machen auf die Landrechts der Indianer in Nord- und Südamerika aufmerksam – mit überwältigender Resonanz in der Öffentlichkeit.
Seit diesen Anfängen ist Haverkamp unermüdlich im Einsatz und kämpft, oft unter Risiko für Leib und Leben, für das Überleben dieses Amazonasvolkes. Bewusst hat sie sich auf dieses nicht alltägliche Leben eingelassen: „Ich musste mich irgendwann entscheiden, ob ich Familie haben möchte oder meine Arbeit. Ich habe mich für meine Arbeit entschieden“, erzählt die Jüngste von drei Geschwistern. Neben der Errichtung von mehreren Krankenstationen im Rahmen von Hilfe zur Selbsthilfe hat sie die Ausbildung von Yanomami zu Krankenpflegern aktiv unterstützt. Momentan bereitet sie den Bau einer neuen Krankenstation im Orinoko-Quellgebiet in Venezuela vor und engagiert sich für den Aufbau einer Yanomami-Schule.
„Harte Bohne“ lässt sich nicht weichkochen
Dabei ist es eine riesige Herausforderung, sich als Menschenrechtsaktivistin in einem fremden Land zu behaupten. „Es gibt immer wieder Probleme mit den Behörden oder Regierungsvertretern. Bei meinen Expeditionen ist das Militär die größte Gefahr. Ich wurde schon verhaftet und geschlagen. Das sollte mich einschüchtern. Das Militär will nicht, dass sich Menschen von außen für die Rechte der Indianer starkmachen.“ Auch sonst muss „Frau“ eine gewisse Härte und Robustheit mitbringen, wenn sie im Urwald überleben will. „Ich habe schon vier Mal Malaria gehabt, lag einmal im Koma. Auch das Wetter kann einem zu schaffen machen“, bekennt sie.
Die Yanomami sind Christina Haverkamp für ihren couragierten Einsatz unendlich dankbar. Wenn sie drei bis vier Monate im Jahr bei ihnen lebt und arbeitet, schläft sie in ihrer Hängematte gleich neben der Familie des Häuptlings. Die Yanomami haben die Frau aus Deutschland ins Herz geschlossen und ihr einen Spitznamen gegeben. Sie nennen sie liebevoll „Cohiba“, das heißt „harte Bohne“, eine, die sich nicht weichkochen lässt.
Ihr Wunsch: Noch weitere 20 Jahre
Das Pendeln zwischen zwei Welten ist für Christina Haverkamp zur Normalität geworden. „Bin ich im Regenwald, liebe ich das einfache Leben und freue mich, ohne Telefon oder Internet zu sein. Ebenso gern bin ich in Deutschland, halte Vorträge, genieße das kulturelle Angebot und treffe mich mit Freunden. Beide Seiten möchte ich nicht missen“, stellt sie fest. Mindestens noch zwanzig weitere Jahre will sie sich für „ihre“ Yanomami einsetzen – sofern die Gesundheit mitspielt. Was sie antreibt? „Es ist mein Gerechtigkeitssinn und der Wunsch, dass alle Menschen auf der Erde die gleichen Rechte haben. Ich hätte ein schlechtes Gefühl, wenn ich nur an mein eigenes, persönliches Glück dächte.“
Silke Bromm-Krieger