Quelle: Dithmarscher Landeszeitung (Wochenend-Journal), veröffentlicht am 9.1.2016
Die Kielerin Christina Haverkamp kämpft für bedrohte Amazonas-Indianer
Von Joachim Welding
Blumenthal – Die Menschenrechtsaktivistin Christina Haverkamp aus Blumenthal bei Kiel zieht Bilanz: 25 Jahre nach der ersten Expedition mit Rüdiger Nehberg in den südamerikanischen Regenwald schienen die Yanomami-Indianer vor dem Völkermord gerettet. Doch nun drohen neue Gefahren.
Ihren Rucksack hat Christina Haverkamp nach ihrer dreimonatigen Venezuela-Reise gar nicht ausgepackt. Hängematte und Latschen sind noch immer greifbar – zu Hause in ihrer Bauernhaus-WG in Blumenthal. „Mit diesem Rucksack bin ich schon als 21-jährige Studentin durch Südamerika gereist. Seitdem begleitet er mich auf allen Unternehmungen“, erzählt die 57-jährige Sport- und Mathe-Lehrerin. Warum sie leichtes Gepäck bevorzugt, musste die ebenso lebenslustige wie unerschrockene Menschenrechtlerin im April bei einer gefährlichen Aktion in Venezuela wieder einmal erfahren.
Dort lebt ein Teil der rund 25 000 Yanomami-Indianer im schwer zugänglichen Regenwald, ein anderer Teil bewohnt den Dschungel am Amazonas in Brasilien. Nachdem die Menschenrechtlerin eine Demonstration mit 100 Indianern in Kriegsbemalung in der Bezirksstadt Puerto Ayacucho organisiert hatte, geriet sie selbst ins Visier der sozialistischen Diktatur. „Die Demo schlug ein wie eine Bombe. Zeitungen, Fernsehen und Radio berichteten landesweit, über Twitter verbreitete sich der Protest gegen die katastrophale Gesundheitsversorgung wie ein Lauffeuer.“ Niemand habe erwartet, dass die Indianer gegen ein gefährliches Regime aufstehen. „Für die Würde und den Respekt unseres Volkes. Eine gute Gesundheit – sofort!“, forderten sie auf Plakaten.
„Eigentlich wollte ich anschließend mit den Yanomami unsere Krankenstation am Rio Orinoko besuchen, doch ein Freund hatte mich telefonisch gewarnt: Christina, du bist in großer Gefahr! Sie wollen Dich verhaften!“ 200 Regierungskritiker hat das Regime unter Nicolás Maduro seit Jahresbeginn schon hinter Gitter gebracht, wo viele gefoltert werden sollen. „Dazu kommen bewaffnete überfälle. Die Lage in der Hauptstadt Caracas ist noch gefährlicher, als ich befürchtet hatte. Es gibt kaum Lebensmittel, das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen“, berichtet sie von ihren Erlebnissen. Von der Reisewarnung des Auswärtigen Amtes hat sich die Blumenthalerin allerdings nicht abschrecken lassen.
Sie hatte Glück: „Der Geheimdienst hatte mein Hotel beschattet, doch bei dem Bischof vor Ort erhielt ich zwei Tage politisches Asyl. Dann konnte ich frühmorgens mit dem nächsten Flugzeug Puerto Ayacucho verlassen.“ Auch wenn sie wegen der Sicherheitslage eine Lieferung Funkgeräte für die Yanomami aus Deutschland nicht mitnehmen konnte, zieht Haverkamp eine positive Bilanz: „Der Vizepräsident Arreaza hat eine Yanomami-Delegation nach Caracas eingeladen. Er versprach ihnen, ärzte, Medikamente und einen Hubschrauber zu schicken. Jetzt müssen wir sehen, ob Taten folgen. Die Yanomami lassen sich nicht mehr hinhalten.“
Auch das ist der Erfolg von 25 Jahren Unterstützungsarbeit für das bedrohte Volk. „Bei meinen ersten Reisen habe ich gesehen, wie viel Ungerechtigkeit und soziale Not in Südamerika herrschen. Die Yanomami waren in einen Bürgerkrieg geraten: 65 000 Goldsucher rodeten ihren Regenwald und verseuchten die Flüsse mit Quecksilber.“ Massaker, grausame Morde und eingeschleppte Krankheiten töteten Tausende Indianer. Die brasilianische Regierung deckte den illegalen Raubbau. Erst die spektakuläre Atlantiküberquerung von Rüdiger Nehberg und Christina Haverkamp 1992 mit einem Bambusfloß rückte das Schicksal der Ureinwohner in den Blick der Weltöffentlichkeit. „500 Jahre Amerika, 500 Jahre Völkermord. Rettet die Yanomami“ stand auf dem Segel. Dokumentationen zur besten Sendezeit im Fernsehen, Greenpeace, Amnesty International und der WWF erhöhten den Druck auf die Regierung, die die meisten Goldsucher schließlich Mitte der 1990er-Jahre aus dem Yanomami-Land verbannten.
Mit Nehberg und Haverkamp hatte sich ein Dream-Team für den unerschrockenen Kampf gegen alle Widerstände gefunden. „Da begegnet mir die Kielerin Christina, 25 Jahre jünger, Sportlehrerin, 58 Kilo Sehnen, Zähigkeit und Power“, berichtet „Sir Vival“, der sie in einem seiner Trainings kennenlernte. „Sie hat vor nichts Angst, ist aber auch nicht leichtsinnig.“ Irgendwann trennen sich die Wege der Beiden. Die Kielerin setzte sich nun verstärkt für die Gesundheitsversorgung und Bildung der Yanomami ein, baute drei Krankenstationen und vier Schulen. „Wir fördern nur die Dinge, die die Menschen selbst wollen. Und sie lernen, selbstständig mit Medikamenten und Mikroskopen umzugehen, um Malaria und Tuberkulose zu bekämpfen.“ 2002 nimmt Haverkamp mit einem Yanomami-Häuptling am Uno-Weltkongress für indigene Völker in New York teil – ein großer Erfolg. Die Deutsche hält Vorträge an der Harvard-Universität in den USA, in Paris, Rio und an unzähligen Schulen in Deutschland, bisher viele tausend Mal.
Inzwischen gehören die Yanomami zum Lernstoff an deutschen Schulen, ihr Schicksal ist in Schulbüchern dokumentiert. „Die Indianer sind mir deshalb so ans Herz gewachsen, weil sie im Einklang mit der Natur leben. Sie hinterlassen keinen Müll, unsere Sucht nach Luxus ist ihnen ebenso fremd wie der ständige Drang nach Fortschritt.“ Ihre Freunde im Regenwald haben Christina Haverkamp wegen ihres hartnäckigen Einsatzes den Spitznamen „Cohiba“ gegeben. Das bedeutet so viel wie: „Harte Bohne, die sich nicht weich kochen lässt“!
Infos im Internet: www.yanomami-hilfe.de