Liebe Yanomami-Freunde,
2010 liegt hinter uns. Für mich war es ein sehr aufregendes aber auch aufreibendes Jahr, in dem ich zweimal in Südamerika war. Während bei den Yanomami in Brasilien wieder Goldgräber für Unruhe und Angst sorgten, kam ich in Venezuela nur sehr schleppend voran.
Im letzten Jahr begann ich mit den Vorbereitungen der nächsten Krankenstation in Delgado Chalbaud. Die staatliche Baufirma Petrocasa wollte einen Teil des Baumaterials stellen. Das venezolanische Gesundheitsministerium versprach, den Transport des Baumaterials und der Werkzeuge in das weit abgelegene Urwaldgebiet zu organisieren. Ich sollte vor Ort den Bau leiten und die Arbeit zwischen den Bauarbeitern und den Yanomami koordinieren.
Mitte Januar flog ich hoffnungsvoll nach Venezuela, um nun mit den Bau der Krankenstation zu beginnen. Das Grundstück hatte ich ein Jahr zuvor mit den Yanomami in mühevoller Arbeit gerodet.
Das Gesundheitsministerium in Caracas teilte mir nach langem Zögern mit, dass sie noch nichts vorbereitet hätten. Ein Transport-Hubschrauber sei gerade abgestürzt, der andere müsse noch repariert werden. Wegen der im April beginnenden Regenzeit müsse jedoch der Transport innerhalb der nächsten 3 Wochen starten.
So flog ich zunächst mit zwei Ingenieuren der staatlichen Baubehörde Petrocasa nach Delgado Chalbaud. Die Yanomami erwarteten uns mit großer Freude. Der vorbereitete Bauplatz war nach den vielen Monaten schon wieder etwas zugewachsen, ansonsten wurde er von den Ingenieuren als gut beurteilt.
Als ich wieder nach Caracas zurückkam trat plötzlich und unerwartet der Gesundheitsminister von seinem Amt zurück. Angeblich aus gesundheitlichen Gründen, so die offizielle Mitteilung. Dies ist der siebte Wechsel in 5 Jahren! Jedes Jahr gibt es für mich neue Ansprechpartner, was die kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Regierung sehr erschwert. Die neue Gesundheitsministerin, die von Präsident Chavez ernannt wurde, musste sich zunächst in ihre neuen Aufgaben einarbeiten.
Ich nutzte die Zeit, um unsere Krankenstation in Mavaquita zu besuchen und einige Renovierungsarbeiten durchzuführen. Zusammen mit Umberto, einem zuverlässigen Arbeiter, fuhr ich den stromstarken Orinoko hoch. Nach einem herzlichen Wiedersehen mit den Yanomami in Mavaquita begutachtete ich die Krankenstation. Die Bausubstanz war nach fünf Jahren immer noch sehr gut. Umberto installierte ein neues Sprechfunkgerät mit Solaranlage und Batterien. Ein Waschbecken im Behandlungsraum musste neu angebracht werden und einige Regale im Medizinraum wurden an der Wand verstärkt.
Seit einem Jahr betreut Dario, ein junger Arzt aus Argentinien, unsere Krankenstation. Zusammen mit den beiden ausgebildeten Yanomami-Krankenpflegern Christoval und Pancho versorgt er sieben Yanomami-Dörfer. Stolz zeigte mir Pancho wie er am Mikroskop die Malaria-Untersuchungen durchführt, während Christoval Dr. Dario bei den Patientenbehandlungen hilft.
Wir besuchten die weit flussaufwärts gelegenen Yanomami-Dörfer Waichewe, Karuana und Mischi Mischi. Als die Yanomami mich im Boot kommen sahen liefen sie freudig zum Ufer, um mich zu begrüßen. In den Versammlungen bedankten sie sich für die gute Unterstützung durch die Krankenstation.
Mit unserer Krankenstation werden inzwischen über 1000 Yanomami medizinisch versorgt. Regelmäßig erhalten alle Yanomami zweimal im Jahr die Behandlung gegen Onkozerkose, eine Krankheit, die zur Erblindung führen kann.
In den Dörfern am Fluss Mavaca bestätigten mir die Häuptlinge, dass durch die Krankenstation und die rechtzeitigen Behandlungen die Kindersterblichkeit sehr stark zurückgegangen ist. In den Dörfern spielen und lachen wieder viele Kinder. Leider funktionieren nicht alle Krankenstationen so gut wie in Mavaquita. Oft fehlen Ärzte, Medikamente, Sprechfunkgeräte oder ein Mikroskop für die Malaria-Untersuchungen.
Die Krankenstationen werden nicht instand gehalten. Außenborder, Boote, Generatoren und Solaranlagen, die die Regierung in das Yanomami-Gebiet schickt, kommen nicht an, weil sie in Puerto Ayacucho vor dem Transport gestohlen werden.
Bis zu meiner Abreise im April erhielt ich von Seiten der Regierung keinen Transport-Hubschrauber. Angesichts der vielen Schwierigkeiten und der Korruption weiß ich manchmal nicht, woher ich den Optimismus nehme, hier irgendetwas Positives erreichen zu wollen. Ich erklärte, dass ich nach der Regenzeit im September wieder käme, um es dann noch einmal zu versuchen.
Vor meiner Rückreise nach Deutschland besuchte ich in Brasilien meinen langjährigen Freund Davi Yanomami Kopenawa in seinem Hutukara-Büro von Boa Vista. Die medizinische Versorgung für die Yanomami durch das staatliche Gesundheitsministerium FUNASA ist in Brasilien wesentlich besser.
Leider dringen wieder Goldsucher in das Gebiet der Yanomami ein und bringen Krankheiten und Umweltzerstörung. Durch Gespräche mit der Regierung versucht Davi Kopenawa die Politiker dazu zu bewegen, die Goldsucher herauszuholen. Die neue brasilianische Präsidentin Dilma Roussef wurde bereits von Davi Kopenawa eingeladen, um sich die Situation vor Ort mit den Goldsuchern und deren Folgen anzuschauen.
Mitte April war ich wieder in Deutschland. Im Sommer arbeiteten wir an der englischen und spanischen Version unserer Homepage www.yanomami-hilfe.de. Um vor allem Schüler für die Problematik der Yanomami, des Regenwaldes und des Klimawandels zu sensibilisieren, hielt ich zahlreiche Vorträge in Deutschland.
Ende September ging es wieder nach Caracas. Zunächst wollte ich Vorträge in Caracas an Universitäten und Schulen halten, um die Yanomami im eigenen Land bekannter zu machen. Für viele Studenten und Schüler war es unglaublich zu erfahren, dass es noch solche Indianer in ihrem eigenen Land im Süden von Venezuela gibt. Die Vorträge an Schulen und Universitäten fanden große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. In den Hörsälen der Nationalen Universität und der Metropolitan diskutierten die Studenten nach den Vorträgen über die Politik Chavez und die Rechte der indigenen Völker in Venezuela.
Dann im Oktober starben 53 Yanomami an Malaria, da die venezolanische Regierung trotz Wissen der Epidemie keinen Hubschrauber mit medizinischer Hilfe geschickt hatte. Der Yanomami Luis Shatiwe teilte mir mit, dass weitere 100 Yanomami im Gebiet von Koyowe und Haximo an der gefährlichen Malaria Tropica erkrankt seien und auf medizinische Hilfe warteten.
Zusammen mit dem Jesuitenpater Padre Korta und zahlreichen Indigenen Gruppen organisierte ich in Caracas eine große Demonstration mit der Forderung für eine sofortige medizinische Hilfe der kranken Yanomami und für die Demarkation aller indigenen Gebiete in Venezuela. Es war in Venezuela die erste gemeinsame Demonstration mit verschiedenen Indigenen Gruppen. Unser Yanomami-Medizinstudent Enzo Taririwei überreichte dem venezolanischen Vizepräsident Jaua eine Petition mit der Bitte um eine bessere medizinische Versorgung.
Zum ersten Mal wurde ein Yanomami von den anwesenden Journalisten überhaupt wahrgenommen und über die Situation der Yanomami befragt. Enzo Taririwei war zunächst sehr schüchtern, doch mit zunehmenden Interviews wurde er immer sicherer und selbstbewusster.
Über die Demonstration und die Forderungen wurde ausführlich in den Zeitungen, Radio und Fernsehen berichtet. Ich hatte ein einstündiges Radiointerview über meine Arbeit und Aktionen für die Yanomami, das in ganz Venezuela zu hören war. Dabei riefen viele interessierte Zuhörer an, deren Fragen ich beantworten musste.
Am Ende waren die Aufmerksamkeit und der Druck so groß, dass die Regierung ein Team mit Ärzten und Medikamenten in den Urwald schickte, um die malariaerkrankten Yanomami zu behandeln. Berichte mit meiner Kritik an der fehlenden medizinischen Versorgung für die Yanomami erschienen in den Zeitungen El Universal, Tal Qual und im Internet. Venezolanische Freunde und Unbekannte warnten mich per SMS, mit meiner Kritik vorsichtig zu sein. Doch ohne diesen Druck, wie mir die Ärztin Dr. Winna von der Gesundheitsbehörde bestätigte, hätte die Regierung keine Ärzte für die dringend notwendige Versorgung der Yanomami geschickt.
In Caracas kaufte ich weitere Sprechfunkgeräte mit Solaranlagen für die abgelegenen Yanomami-Dörfer. Die Malaria-Epidemie zeigte, dass die venezolanische Regierung die gesundheitliche Versorgung der Yanomami nicht unter Kontrolle hat. Mit einem Sprechfunkgerät können die Yanomami auf sich aufmerksam machen und medizinische Hilfe von außen anfordern.
Das venezolanische Militär machte uns diesmal nur Probleme. Statt einen Transporthubschrauber für das Baumaterial zu schicken, versuchte es unsere Sprechfunkgeräte in Puerto Ayacucho zu beschlagnahmen. Gewaltsam drangen sie in das Zimmer von Luis Shatiwe ein, um die Sprechfunkgerät mitzunehmen. In letzter Sekunde konnten wir es mit Hilfe eines Rechtsanwaltes verhindern. Nun liegen die Sprechfunkgeräte in einem sicheren Depot und werden von den Yanomami in den Dörfern mit Hilfe von Umberto selbst installiert.
Anfang Dezember fuhr ich mit einem Boot den Orinoko rauf, um unseren Yanomami-Krankenpfleger Ery Yaki Yaki zu besuchen, der selbst bei der Epidemie an Malaria erkrankt war. Nach neunstündiger Bootsfahrt kam ich ein wenig erschöpft in Esmeralda an. Ery Yaki Yaki ging es gesundheitlich schon wieder besser. Er möchte die Schule von Esmeralda besuchen, um anschießend Medizin zu studieren. Sein Wunsch ist es, eines Tages als Arzt im Yanomamigebiet zu arbeiten. Er freute sich riesig, als ich ihm mitteilte, dass wir vom Yanomami-Hilfe e.V. seine Schulausbildung finanzieren. Als Starthilfe brachte ich ihm einen kleinen Rucksack mit Laptop und Wörterbuch Yanomame-Spanisch. Über einen Satelliten im Urwald sind wir nun per Internet von Esmeralda nach Blumenthal verbunden. Unglaublich!
Nach der Rückfahrt von Puerto Ayacucho wurde ich von vier schwerbewaffneten Militärs festgenommen, die mich in ihren Jeep zerrten mit der Begründung: „Der General in Puerto Ayacucho wolle mit mir sprechen“. Sie wollten mir meinen Rucksack wegnehmen, den ich an meinem Körper fest hielt. Dabei schlugen sie mir mit einem Stock brutal auf die Hand. Mein Daumen wurde beim Zerren schmerzhaft ausgekugelt. Nach einer einstündigen Jeepfahrt über unsichere Wege durch den Urwald erreichten wir das Militärkommando in Puerto Ayacucho. Mehrere Stunden wurde ich in einem Raum allein gelassen, ohne dass ein General kam, um mit mir zu sprechen. Erst kurz vor Mitternacht ließen sie mich wieder frei. Dies ist vom Militär eine Form von Einschüchterung und Machtdemonstration. Das Militär duldet nicht, dass Ausländer sich für Indigene Völker einsetzen und sie in ihren Rechten stärken wollen. Am nächsten Tag holte ich mir eine Salbe von der Apotheke für meine geschwollene Hand. Der Daumen lag zwei Wochen in einer Schiene, um sich von der Überdehnung zu beruhigen.
Die Yanomami haben inzwischen das Vertrauen in der Regierung Chavez gänzlich verloren. Sie haben erkannt, dass sie sich selbst organisieren müssen, wie die Yanomami in Brasilien. Wir möchten dieses Bestreben unterstützen und die Selbsthilfe und Initiative der Yanomami stärken. Mit der Yanomami-Hilfe e.V. haben wir für drei Yanomami Patenschaften übernommen. Wir unterstützen Ery Yaki Yaki in seiner Schulausbildung in Esmeralda, Luis Shatiwe bei seiner Arbeit in der Versorgung und Organisation der Krankenstationen und Enzo Thaririwe in seinem Medizinstudium in Valle de Pascua. Seit einem halben Jahr studiert er Medizin und wenn er das Studium schafft und durchhält, wird er der erste Yanomami-Arzt sein! Wir drücken ihm die Daumen!!
Auch wenn ich diesmal wegen des Fehlens eines Transport-Hubschraubers keine weitere Krankenstation für die Yanomami aufbauen konnte freue ich mich, dass die Yanomami in Venezuela auf dem Weg sind, sich selbst zu helfen. In Delgado Chalbaud werden die Yanomami versuchen, die Krankenstation aus Holz zu bauen. Die Inneneinrichtung werden wir übernehmen.
Viele Schulen in Deutschland haben im letzten Jahr Benefiz-Veranstaltungen für die Yanomami organisiert. Somit konnten wir den Wiederaufbau eines kleinen runden Versammlungshauses der Yanomami-Schule in Ocamo von Schwester Maria Wachtler unterstützen.
In diesem Jahr arbeite ich zusammen mit unserer Mitarbeiterin Heike Pries an einer an einer Yanomami-Wanderaus- stellung für Schulen. In der Ausstellung, die Schulen vor oder nach den Vorträgen oder für den Unterricht an- fordern können, wollen wir auch zeigen wie die Klima- veränderung sich auf das Leben der Yanomami und den Regenwald auswirkt.
Informationen erhaltet Ihr regelmäßig auf unserer Homepage www.yanomami-hilfe. de
Auf dem Weg der Selbstständigkeit möchten wir mit der Yanomami-Hilfe e.V. die Yanomami weiterhin unterstützen. Sie brauchen Partner von außen, um ihre Rechte in ihrem Land verwirklichen zu können.
Für eure treue Unterstützung bedanke ich mich ganz herzlich auch im Namen der Yanomami!
Muchas Gracias und liebe Grüße
Eure
Christina Haverkamp