lebensart, Januar 2009
von Dieter Hanisch
Vor den Toren von Kiel ist eine Frau zu Hause, die für die Existenz eines der letzten noch ursprünglich lebenden Naturvölker dieser Erde kämpft. Seit ihrer ersten Begegnung mit den Yanomami vor 20 Jahren hat Christina Haverkamp kontinuierlich Kontakt mit den Indianern in Südamerika gehalten. Inzwischen pendelt sie Jahr für Jahr zwischen Deutschland und der Amazonasregion und wirbt darüber hinaus noch mit Vorträgen in anderen Ländern Europas oder wie kürzlich in den USA an der Harvard-Universität in Boston für ihr Anliegen.
Seit nunmehr drei Jahrzehnten wird durch rücksichtslosen Raubbau an der Natur der Lebensraum der Indianer zunehmend zerstört. Das Goldsucherfieber ist wie ein Fluch über die dort lebenden Ureinwohner gekommen. Haverkamp hat sich mit ihrem Engagement zu einer Anwältin für die bedrohten Indianer gemacht, und diese haben der 50-Jährigen auf besondere Art ihren Dank und ihre Hochachtung spüren lassen. Wie kaum eine andere fremde Frau wurde die Pädagogin im Kreis der Yanomami aufgenommen. Jedes Wiedersehen ist ein festliches Ereignis, bei dem Haverkamp wie ein Familienmitglied begrüßt wird. Die Indianer haben die ausgebildete Sport- und Mathematiklehrerin in ihr Herz geschlossen und ihr den Namen Kohiba – harte Bohne – verpasst, um auf ihre unerschrockene Hartnäckigkeit und Beharrlichkeit zu verweisen.
Krankheiten und Seuchen hielten Einzug
Goldsucher, Minenkonzerne, Ölgesellschaften, Großgrundbesitzer und Holzindustrie greifen ins einst intakte Ökosystem ein, beanspruchen Grund und Boden für ihre Interessen und schrecken vor nichts zurück, ja gehen buchstäblich über Leichen wie im Herbst 1993, als ein Massaker an den Yanomami verübt wurde. Selbst die Deklaration eines Schutzreservates durch die Regierung hat die goldgierigen Eroberer kaum gebremst. Mit der Inbesitznahme des Regenwaldes und damit des Indianer-Lebensraumes haben auch Krankheiten und Seuchen Einzug gehalten, denen sich die Yanomami meist hilflos ausgesetzt sehen. Erst durch die Goldgräber, die bei der Goldwäsche große Wassertümpel haben entstehen lassen, hat die für die Übertragung des Malaria-Fiebers verantwortliche Anopheles-Mücke beste Bedingungen vorgefunden, ihre Population zu vervielfachen. Auch Zivilisationskrankheiten wie Grippe, Windpocken oder Masern kannten Yanomami vorher nicht. Plötzlich traten vorher nie aufgetretene Tuberkulose-Fälle auf. Weitere Hinterlassenschaften der Goldschürfer sind mit Quecksilber verseuchte Flüsse und Gewässer.
Vor Ort will sie helfen
Die Schamanen und Medizinmänner schaffen es nicht mehr allein, den todbringenden Krankheiten ihr Wissen und Wirken entgegenzustellen. Sie haben erkannt, dass Krankenstationen und Medikamente unter ihrer Obhut ein positives Arrangement mit der kulturell sonst fremden und argwöhnisch betrachteten Außenwelt bedeuten. Die Häuptlinge haben begriffen, dass die schlimmstenfalls zur Erblindung führende Augenkrankheit Onchozerkose (Flussblindheit), ausgelöst durch Fadenwürmer, nur mit spezieller Medikation behandelt werden kann. 1989 hatte sie nach dem Kennenlernen des Survival-Aktivisten Rüdiger Nehberg in Brasilien ersten Kontakt mit den Yanomami. Seitdem lässt sie das Schicksal dieses Volkes nicht mehr los. Vor Ort will sie nun helfen. Gemeinsame Expeditionen mit Nehberg, ein Trip mit anderen Frauen zur medizinischen Versorgung, eine zusammen mit Nehberg im Senegal gestarteten Bambusfloßtour 1992 über den Atlantik, um im 500. Jahr der Amerika-Entdeckung für kritische Öffentlichkeit zu sorgen, und in den vergangenen Jahren regelmäßig Besuche im Regenwald verbunden mit dem Aufbau von Hilfsprojekten – all das kann sie sich auf ihre Fahnen schreiben. Vor zwei Jahren gründete Haverkamp mit Freunden zudem den gemeinnützigen Verein Yanomami-Hilfe.
1997 ist in Ixima eine erste Krankenstation errichtet worden. Papiu hat gegen den anfänglichen Widerstand brasilianischer Behörden vier Jahre später einen eigenen medizinischen Hilfspunkt und eine Schule bekommen. Haverkamp begleitete 2002 Papius Häuptling Joao Davi Maraxi nach New York, wo er beim Weltkongress indigener Völker vor der UNO eine Rede halten durfte.
Nichts passiert ohne Einwilligung
Die in großen, aus Baumstämmen errichteten Rundbauten lebenden Yanomami akzeptieren inzwischen auch Steine als Baumaterial für die Krankenstationen. Die gebürtige Nordhornerin betont: „Nichts passiert ohne ausdrückliche Bitte oder Einwilligung der Yanomami. Deren tatkräftige Mithilfe ist sogar Voraussetzung und Bedingung, dass die Hilfsprojekte funktionieren.“ In Mavaquita ist 2005 die bislang letzte Krankenstation entstanden, die etwa 800 Bewohner in sechs Dörfern versorgt. In allen drei Gesundheitszentren werden Indianer zu Krankenpflegern ausgebildet. Nächstes Projekt wird der Bau einer Krankenstation in Delgado Chabaud sein, für die Venezuelas Regierung bereits grünes Licht erteilt hat. Auf Haverkamps Wunschzettel steht fernen die Anschaffung eines Gesundheitsschiffes, um auf dem Amazonas oder dem Orinoko im Süden von Venezuela schnellere Hilfe für abgelegene Regionen anbieten zu können. In wenigen Tagen bricht Haverkamp nach Caracas auf.
Bis zu ihrer Abreise finden noch einige Schulbesuche statt. Nach ihren Vorträgen löchern die Schüler sie mit Fragen und bestaunen die Indianer-Utensilien. Haverkamp animiert zur patenschaftlichen Hilfe. Und ihr Appell kommt an. Mittlerweile haben Sponsorenläufe, Rockkonzerte, Ausstellungen, Basare und andere Schulaktivitäten für die Yanomami stattgefunden.
Bequemlichkeiten sind nicht das Ding der engagierten Frau. Sie wohnt in einer Wohngemeinschaft ganz ohne Luxus. Viermal hat die Malaria auch sie bereits heimgesucht. Und bei einem bewaffneten Überfall im Amazonas-Regenwald hat sie selbst zu spüren bekommen, dass das Leben an einem seidenen Faden hängen kann. 1998 wurde ihr für ihre Arbeit in Frankfurt der Weitsicht-Menschenrechtspreis verliehen.