„Ich lebe in zwei Welten“ Christina Haverkamp sprach am Voß-Gymnasium über ihr Leben mit den Yanomami

Quelle: der reporter, das Familienwochenblatt.
Eutin, 20. Dezember 2023

Nach dem Vortrag gab es Gelegenheit, die Original-Exponate näher zu besehen und mit Christina Haverkamp ins Gespräch zu kommen. Foto: A. Jabs

Nach dem Vortrag gab es Gelegenheit, die Original-Exponate näher zu besehen und mit Christina Haverkamp ins Gespräch zu kommen. Foto: A. Jabs

Eutin (aj). Vor den großen Fenstern ist es Winter, allen ist schon ein bisschen weihnachtlich zumute, in der Aula des Johann-Heinrich-Voß-Gymnasiums aber ist an diesem Dezembermorgen Amazonas-Hitze spürbar. Christina Haverkamp berichtet über ihre Zeit mit den Yanomami, einem Stamm, der bis heute im brasilianischen Regenwald weitgehend ursprünglich lebt. In den vollbesetzten Reihen vor ihr lauschen die Schülerinnen und Schüler fünften, sechsten und siebten Jahrgangsstufe. Die 6d hat die Aktivistin eingeladen, nachdem man sich im Geographieunterricht mit dem Thema befasst hatte. Lehrerin Maren Westensee lenkt den Blick der Schüler*innen nicht zum ersten Mal auf das indigene Volk, dessen Existenz fortwährend durch eine ignorante Politik und rücksichtslose Goldsucher bedroht ist. Und auch Christina Haverkamp kennt die Voß-Schule bereits, hat hier schon gesprochen.

Ihr Einsatz für die Yanomami hat an Aktualität nichts eingebüßt. Seit 35 Jahren verbringt sie im Jahr mindestens drei Monate im Amazonas: „Ich lebe in zwei Welten“, sagt sie. Die Mädchen und Jungen folgen ihr im Geiste in die Dörfer, in denen Jagen, Fischfang und Brotbacken tägliche Aufgaben sind, in denen man in der Hängematte schläft, Frauen sich von ihren zukünftigen Männern rauben lassen und eine Trennung ganz unprätentiös durch den Wechsel der Unterkunft vollzogen wird. In Christina Haverkamps bebildertem Vortrag kommt man den Menschen ganz nah, sie nimmt die Jugendlichen mit in das Abenteuer, die Fremde zu sein und Vertrauen zu erfahren. Einen Kalender brauchen die Stämme nicht, sie schmücken sich mit Zierstäbchen und duftenden Blättern und dass man hierzulande die geliebten Menschen nach dem Tod in der Erde begräbt, können sie nicht nachvollziehen. „Die Yanomami essen die Asche ihrer Verstorbenen in einem Brei, um ihre Seele weiterleben zu lassen“, erklärt Christina Haverkamp.

Nach ihrem ersten Aufenthalt mit dem Abenteurer und Aktivisten Rüdiger Nehberg war klar, dass sie wiederkommen würde. Mit dem Zusammenleben mit den Yanomami geht für sie der Kampf um deren Rechte einher. Sie hat Protestaktionen organisiert und sie sammelt fortwährend Spenden. Die fließen zum Beispiel in den Aufbau von Krankenstationen, die die Yanomami selbst leiten. Aktuell rührt Christina Haverkamp die Werbetrommel für eine weitere Krankenstation. Häufig organisieren Schulklassen, die sie besucht, Flohmärkte oder Basare, um die Einnahmen beizusteuern.

So ist auf diesen Vorträgen nicht nur etwas zu lernen über die Yanomami, es geht nicht nur um einen Perspektivwechsel und echte Neugier auf ein anderes Leben, in dem andere Maßstäbe gelten. Genauso wichtig ist die Erkenntnis, dass es sich lohnt, sich einzusetzen für Menschenrechte und Umweltschutz. Christina Haverkamps Lebensbericht ist eine Ermutigung: „Krass, was sie sich getraut hat“, staunt Momo aus der 7a nach dem Vortrag. Und Vanessa pflichtet bei: „Es ist interessant, was man in einem Leben alles schaffen kann!“ In Melissa aus der 6. Klasse ist das Fernweh geweckt. Sie könnte sich durchaus vorstellen, wie Christina Haverkamp die Komfortzone zu verlassen. Zu tun gibt es viel: „Die bittere Erkenntnis ist, dass die Yanomami bedroht sein werden, solange es Gier gibt“, konstatiert Haverkamp. Tatenlos hinnehmen wird sie das nie und das macht sie einem Vorbild für diejenigen, die ihr an diesem Vormittag zugehört haben.

Jahresbericht 2022

Blumenthal, Januar 2023

Liebe Yanomami-Freundinnen und Freunde,
diesmal erhaltet ihr den Jahresbericht 2022 sehr verspätet, da ich Anfang des Jahres schon 3 Monate bei den Yanomami war und sofort anschließend bis Mitte Mai Vorträge in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und in Südtirol hatte. Im letzten Jahr konnte ich zusammen mit den Yanomami und einem engagierten brasilianischen Arbeiterteam unsere zweite Krankenstation von Papiu Kayanaú komplett renovieren. Ich erhielt unerwartet große Unterstützung vom brasilianischen Gesundheitsministerium SESAI, die die Kosten für die Transportflüge von Boa Vista nach Papiu übernahmen.

Das Arbeiterteam vor dem Flugzeug

Das Arbeiterteam vor dem Flugzeug

Es dauerte ein paar Tage, bis ich ein gutes Arbeiterteam in Boa Vista gefunden hatte: Flávio, der Holzfäller, Senna, der Maurer, Michel und Gessivaldo die Helfer.
Trotz vorheriger Impfung in Deutschland gegen Corona wurde ich in Boa Vista positiv auf Corona getestet und musste meinen Flug zu den Yanomami um 10 Tage verschieben.

Meine brasilianischen Freundinnen in Boa Vista

Meine brasilianischen Freundinnen in Boa Vista

In Boa Vista traf ich meine langjährigen brasilianischen Freundinnen Anna, Loretta, Alessandra und Edna. Sie unterstützten mich bei den Projektvorbereitungen und beim Einkauf des Baumaterials für die Renovierung. Mit dem geliehenen Pickup von Anna konnte ich alle Einkäufe in ein paar Tagen schnell erledigen.

In Papiu empfingen mich die Yanomami sehr herzlich. Am Ende der Landepiste warteten misstrauische bewaffnete Goldsucher, denen ich schnell erklärte, dass ich keine ausländische Journalistin sei, sondern lediglich unsere 22 Jahre alte Krankenstation renovieren wolle.

Ich hatte schon im vorletzten Jahr das in der Nähe liegende Goldsuchercamp besucht. Bei den Goldsuchern im Wald gab es alles: ein gut funktionierendes Internet mit Satellitenschüssel, Solaranlagen mit Batterien für Kühlschrank und Fernsehen, eine gut ausgestattete Küche, einen kleinen Laden und eine Tanzbar mit Prostituierten aus Manaus.

In unserer Krankenstation musste ich bitter mit ansehen, wie auch die malariakranken Goldsucher sich behandeln ließen. Für den Krankenpfleger Arisson gab es keine andere Möglichkeit. Er erklärte mir: „Ich muss hier jeden Kranken behandeln, das ist meine Pflicht.“

Senna verlegt den Boden

Senna verlegt den Boden

Zuerst wurde eine Sickergrube für das Abwasser der Krankenstation gebaut und ein neuer Zementboden für die Terrasse verlegt.

Fünf Yanomami fuhren mit dem Holzfäller Flávio im Kanu flussaufwärts, wo er Bäume fällte und daraus Bretter und Balken sägte. Die Yanomami schleppten die schweren Balken und Bretter durch den Wald bis zum Flussufer. Von dort wurden sie mit dem Kanu zur Krankenstation transportiert. Mit dem Holz wurden die alten, verrotteten Bretter auf der oberen Veranda ersetzt und zwei hohe Gerüste für die neuen 500 Liter Wassertanks vor der Küche und am Bad aufgebaut.

Erfolgreiche Renovierung unserer Krankenstation

Durch die Goldsucherarbeiten wurden in den letzten Jahren einige Flüsse mit Quecksilber belastet, das zur Goldgewinnung eingesetzt wird. Wegen vermutlicher gesundheitlicher Schäden ist es nicht unbedenklich, dieses Wasser zu trinken.
Deshalb haben wir an beiden Längsseiten des Daches von der Krankenstation halbierte Rohre wie Rinnen angebracht, um das Regenwasser vom Dach aufzufangen und in die Wassertanks zu leiten. Schon nach dem ersten starken Regen füllten sich sofort die Tanks und es gab gutes Wasser im Behandlungsraum, der Küche und im Bad. Herrlich!

Robertson mit dem Solar-Mikroskop

Robertson mit dem Solar-Mikroskop

Drei Tage lang säuberten und schmirgelten die Yanomami alle Außenwände der Krankenstation und gaben den Wänden wieder einen neuen frischen grünen Anstrich. Reginaldo und Kuata bearbeiteten die Bänke, Tische und Türen. Alle Yanomami und die brasilianischen Arbeiter freuten sich, als die Krankenstation wieder im neuen Glanz strahlte und ich freute mich, dass alles so gut und schnell ohne Probleme geklappt hatte.

In der Krankenstation mussten überall neue Stromkabel verlegt und mit einer Solaranlage und Batterie verbunden werden. Robertson, unser Mikroskopist für die Malaria-Untersuchungen in der Krankenstation, war sehr dankbar über das stärkere Licht durch die Solarbatterie. Es erleichtert die Untersuchungen und schont die Augen.

Die politische Situation für die Indigenen im Regenwald

Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva trat Ende letzten Jahres seine dritte Amtszeit an. Er hatte im Wahlkampf versprochen, den Umwelt- und Klimaschutz zu stärken. Mit einem Militär- und Policia Federal Großeinsatz ließ er Anfang des Jahres tatsächlich die Goldsucher herausholen. Ihre Flugzeuge wurden verbrannt und ihre Maschinen und Werkzeuge für weitere Nutzungen zerstört.

Flugzeuge und Maschinen der Goldsucher werden zerstört

Flugzeuge und Maschinen der Goldsucher werden zerstört

Lula hat einen Aktionsplan zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes aufgestellt. Er sieht unter anderem die sofortige Beschlagnahmung der Hälfte der Flächen vor, die illegal zur Abholzung genutzt werden. Zudem sollen zusätzliche Schutzgebiete von drei Millionen Hektar bis 2027 geschaffen werden. Der Regenwald soll stärker überwacht werden und höhere Strafen für illegale Abholzungen verhängt werden.

Zwei indigene Frauen für die neue Regierung von Lula

Im Dezember 2022 wurde Sonja Guajajara zur Ministerin des neu geschaffenen Ministerium für indigene Völker ernannt. Ihr Engagement steht für den Schutz der indigenen Gebiete. Sie sagt: „Wir werden keine Rückschritte mehr erlauben“

Lula hat außerdem 43 Mitglieder der Nationalen Indigenenbehörde Funai entlassen und angeordnet, dass die indigene Rechtsanwältin Joenia Wapichana die Führung der Behörde übernimmt. Die freigewordenen Ämter werden in der kommenden Zeit alle mit indigenen Personen besetzt. Der Präsident entließ auch elf lokale Koordinatoren des Gesundheitsministeriums.

Das neue Schulprojekt in Bisho Acu

Ende des Jahres baten die Yanomami mich in einem Brief um eine Schule für ihr Dorf Bisho Acu. Sie wünschen eine Schule zur Bewahrung ihrer kulturellen Identität und zur Verteidigung und zum Schutz ihres Lebensraums.
Otávio schreibt weiterhin in diesem Brief:

„Wir brauchen die Schule nicht um Nape (Nicht-Yanomami) zu werden. Wir müssen die Welt der Nape verstehen und das Wissen nutzen, das uns mit Fähigkeiten für unsere Rechte versorgt.“

Daniel und Thiago engagieren sich für die Yanomami

Daniel und Thiago engagieren sich für die Yanomami

Anfang dieses Jahres reiste ich deshalb in das Dorf Bisho Acu am Fluss Marauia und nahm an einer großen Versammlung teil.

Ihre Yanomami Schule in Raiter

Ihre Yanomami Schule in Raiter

Ich besuchte die Schule im Yanomami-Dorf Raiter, die von Daniel und Thiago aus Sao Paulo konzipiert und von Carlinho aus Santa Isabel do Rio Negro gebaut wurde. Sie ist einfach und sehr schön gebaut. In diesem Stil aus Holz möchte ich Anfang nächsten Jahres die Schule für das Dorf von Otavio in Bisho Acu bauen.

Ein herzliches Dankeschön an alle Unterstützer

Stiftungen und Organisationen
Oswald-Stiftung aus Pfarrkirchen
Lebensraum Regenwald e.V. von Roland Zeh
Sonnenwasser e.V. von Fritz Strohecker aus Strande
Kollekte des Ev.-Luth. Kirchenkreises von Plön
Eine Welt Kreis aus Mehring
Wortwechsel Verlag, Ulrike Steffen

Einzelspender und Unterstützer

Schülerinnen nach dem Vortrag am Gymnasium in Gelnhausen

Schülerinnen nach dem Vortrag am Gymnasium in Gelnhausen

Elisabeth Albert, Perihan Atug, Wolfgang Baumüller und Regine Häusler, Kathrin Beutin, Martin Binz, Hermann Birschel, Christine Bischoff, Hans Bornefeld, Petra und Jörg Bonin, Dr.Andrea Bräuning, Marlen Breitinger, Rudolf Brunner, Christina Chang, Michaela Freudenberger, Monika Gernert, Ferdinand Guttenberg, Monika Hagemann, Angelika Heinsen, Wolfgang und Isolde Hofer, Veronica Huber, Hans Hinrich Kahrs, Antje Kalbe, Stefan Kiehl, Monika Kienass, Karl-Heinz Klöckner, Henning Köhlert, Christhard Kotte, Dagmar und Bodo Kuhnhenn, Hilmar Lampert, Vilas Boas Lessa, Elfi und Volker Lindner, Alexander Mater, Rosi Mauer-Bittlinger und Geburtstagsgäste, Julia Melzner, Karen Knutzen-Mies und Herbert Mies,Toivo und Chris Miller, Hermine Mittermeier, David Muchau, Michael und Marianne Müller, Michael Müller-Andersson, Brigitte Ohm, Kathrina Ott, Markus Pfeifer, Blanche Piper, Hans Christian Plagmann, Dr. Roland Psenner, Ricarda Quick, Christina Chang Rudolph, Katinka Sauer, Giesela Schmieder, Silke Schöne, Ellen Schröter, Dr. Christian Schumacher, Hanna Severin, Alessandro Rocco Silvestri und Fatma, Dr. Florian Steiner, Marion und Herbert Strauss-Barthel und Geburtstagsgäste, Dieter und Elisabeth Untermann, Ulrich Wandt, Ralf Warnholz, Gundula und Sophie Weber, Wolfgang Weyer, Irina Wiessner, Wolfgang Zierke, Beate Ziethen.

Liebe Mitgliederfreunde und Unterstützer

der Yanomami-Hilfe e.V. nur durch eure regelmäßigen Beiträge und durch viele Spenden sind eine sichere Planung und Durchführung für die weiteren Yanomami-Hilfsprojekte möglich. Muito obrigada!

Vielen Dank
auch an alle Lehrerinnen und Lehrer, die mich immer wieder an ihre Schulen einladen, um dort für die Schüler einen Vortrag über die Yanomami und den Regenwald zu halten.

Nachfolge gesucht

Mein langjähriger Yanomami-Freund Chiquinho

Mein langjähriger Yanomami-Freund Chiquinho, mein langjähriger Yanomami-Freund aus Tomoropiwei, fragte mich besorgt beim letzten Besuch: „Und wer wird Deine Arbeit eines Tages fortsetzen? Ich sollte jetzt schon mal nach jemanden suchen, den ich einarbeiten könnte.“

Vielleicht gibt es jemanden, der mich auf der nächsten Reise begleiten und beim Schulprojekt mitarbeiten möchte? Das dreimonatige Projekte wird Anfang Januar 2024 beginnen. Interessierte, aber keine „Träumer“, können sich bis Mitte November bei mir melden: christinahaverkamp@ web.de Portugiesische Sprachkenntnisse sind unbedingt erforderlich.

Schlußbemerkung
Die verbesserte politische Situation durch den Regierungswechsel mit Lula ist ein großer Erfolg für die Yanomami und ein Hoffnungsschimmer für den Regenwald, der unser Weltklima mitbestimmt.

Trotz der positiven Entwicklung wissen wir, dass der Druck von außen durch Goldsucher, Großgrundbesitzer, Minenkonzerne, korrupte Politikern niemals aufhören wird. Diese Gefahren lauern permanent. Unsere Menschenrechtsarbeit muss deshalb weiterhin fortgesetzt werden.

Für eure treue Unterstützung bin ich sehr dankbar. Ich wünsche uns allen einen entspannten Sommer!

Mit sonnigen Grüßen
Christina Haverkamp

Kleine Anmerkung: Dieser Bericht wurde wie immer persönlich geschrieben ohne Unterstützung der künstlichen Intelligenz (KI).

Dankeschön für eure weitere Unterstützung

Dankeschön für eure weitere Unterstützung

Yanomami-Hilfe e.V., Hökerberg 1, 24241 Blumenthal, Telefon 0 43 47 – 70 81 34
E-Mail: office[at]yanomami-hilfe.de, Internet: www.yanomami-hilfe.de
Sparkasse Mittelholstein, IBAN DE 08 2145 0000 0003 3882 28

“Foi ele (Bolsonaro) que matou” – „Er (Bolsonaro) war es, der getötet hat“, prangert Davi Kopenawa an

Publicado em, por Felipe Medeiros: 24/01/2023
“Foi ele (Bolsonaro) que matou”, denuncia Davi Kopenawa (Artikel in Portugiesisch)
https://amazoniareal.com.br/tragedia-humanitaria/
„Er (Bolsonaro) war es, der getötet hat“, prangert Davi Kopenawa an

Für den Häuptling und Schamanen des Yanomami-Volkes ist der ehemalige Präsident Jair Bolsonaro (PL) maßgeblich verantwortlich für die Verschärfung der humanitären Tragödie, die sein Volk betrifft, und er sollte wegen des Verbrechens des Völkermords verhaftet werden (Foto: Bruno Kelly/Amazônia Real).