Blumenthal, April 2015
Liebe Yanomami-Freunde,
diesmal erhaltet ihr den Jahresbericht 2014 ein paar Wochen später, da ich gerade erst wieder aus Venezuela von den Yanomami zurückgekehrt bin.
Katastrophale Zustände in Venezuela
Die Situation in Venezuela ist wirtschaftlich und politisch schlimmer als ich befürchtet hatte. Korruption und Inflation im Land sind enorm gestiegen. Caracas hat sich zur gefährlichsten Hauptstadt der Welt entwickelt. Durch sinkende Erdölpreise sind auch die Einnahmen des Landes drastisch gesunken. Aufgrund von Devisenmangel gibt es kaum noch Produkte aus dem Ausland. Seit Monaten sieht man immer wieder, dass wartende Menschenschlangen stundenlang vor den fast leeren Supermärkten stehen.
Die venezolanische Regierung ist mit der gesundheitlichen Versorgung im Land völlig überfordert. Sie ist nicht in der Lage ein funktionierendes Gesundheitssystem aufzubauen. Nach außen hin möchte Präsident Maduro nicht zeigen, dass der Sozialismus im Land nicht funktioniert.
Regierungsgegner und Oppositionelle, wie der Bürgermeister aus Caracas, Antonio Ledezma, werden willkürlich verhaftet. Seit Anfang des Jahres wurden über 200 Demonstranten festgenommen, die in grauenhaften Gefängnissen der Geheimpolizei und des Militärs gefolter werden.
Leider konnte ich aus Sicherheitsgründen die in Deutschland gekauften fünf Sprechfunkgeräte und das Mikroskop für die Yanomami nicht nach Venezuela mitnehmen. Der korrupte venezolanische Zoll hätte sie sofort am Flughafen in Caracas beschlagnahmt. Und nicht nur das: Man hätte mich wegen Spionage verhaftet, da die Funkgeräte militärische Instrumente sind.
So flog ich schweren Herzens im Januar ohne die Geräte nach Caracas. In der Stadt führte ich viele Gespräche mit dem Gesundheitsministerium, der Deutschen Botschaft, der Friedrich-Ebert-Stiftung und verschiedenen indigenen Organisationen. Es herrscht ein Klima der Angst und Repression. Keiner wagt es, öffentlich seine Meinung zu den Missständen und Ungerechtigkeiten zu äußern.
Die Yanomami-Organisation Horonami teilte mir mit, dass seit Monaten die gesundheitliche Situation der Yanomami im Orinokoquellgebiet dramatisch sei. Viele Yanomami starben in den letzten Monaten an Malaria und Tuberkulose, weil es keine Ärzte und Medikamente gab. Darum organisierten die Yanomami Anfang des Jahres in Puerto Ayacucho ein großes Treffen. Über 100 Yanomami aus vielen Dörfern waren von weit her mit Kanu, zu Fuß und Militärhubschrauber angereist, um über die unzureichende medizinische Versorgung zu sprechen.
Treffen und Demonstration der Yanomami in Puerto Ayacuchco
Es war ein herzliches Wiedersehen! Viele Yanomami hatte ich lange Zeit nicht mehr gesehen. Ein Gespräch, das die Yanomami vor wenigen Monaten im Urwald mit der Ministerin für Indigene, Aloha Núñez, führten, blieb ohne Erfolg. Nach dem dreitägigen Treffen in Puerto Ayacucho beschlossen sie eine Demonstration mit Marsch bis zur Gesundheitsbehörde zu machen, um mehr Gehör für ihre Probleme zu bekommen.
Über Facebook, Twitter, Presse, Radio und TV-Amazonia erhielten die Yanomami in Venezuela große Aufmerksamkeit.
Versammlung und Demonstration der Yanomami-Organisation Horonami in Puerto Ayacucho
Die erste von ihnen selbst durchgeführte Demonstration schlug ein wie eine Bombe. Das hatte keiner erwartet, dass die Yanomami aus dem Urwald auf den Straßen von Puerto Ayacucho lautstark und ohne Angst für ihre Rechte kämpfen!
Auf ihren Transparenten stand:
Horonami Organizacion Yanomami
Por la Dignidad y Respeto de nuestro pueblos Calidad de Salud, ya!
Yanomami Organisation Horonami
Für die Würde und den Respekt unseres Volkes. Eine gute Gesundheit, sofort
Ergebnis und Folgen der Demonstration
Eine Delegation der Yanomami von Horonami wurde zwei Wochen nach dieser Demonstration zu einem Gespräch mit dem Vizepräsidenten Dr. Jorge Alberto Arreaza in Caracas eingeladen. Er hörte sich die Probleme der Yanomami an und versprach Ärzte und Medikamente zu schicken. Das Militär im Amazonasgebiet soll einen Hubschrauber für die medizinische Versorgung der Yanomami erhalten. Wir werden sehen, ob den Versprechungen auch Taten folgen. Noch bin ich skeptisch und hoffe auf Besserung. Die Yanomami Organisation Horonami wird keine Hinhaltetaktik mehr dulden.
Für mich wurde es nach der Demonstration gefährlich
Zusammen mit einer Yanomami-Gruppe wollte ich nach der Demonstration im Kanu den Rio Orinoko hochfahren, um unsere Krankenstation in Mavaquita zu besuchen. Kurz vor Abfahrt erhielt ich den Anruf eines Freundes aus Caracas, der mich eindringlich warnte: “Christina, Du bist in großer Gefahr! Die Guardia National sucht dich und will Dich wegen Spionage verhaften!“ Ich konnte und wollte es nicht glauben. Bischof José Ángel Divasion riet mir die Warnung des Freundes aus Caracas ernst zu nehmen und Puerto Ayacucho sofort zu verlassen. Die Yanomami trösteten mich und meinten, dass dieser Zeitpunkt zu unsicher sei, um ins Yanomamigebiet zu gehen. Bei den zwei Militärposten, die wir auf dem Orinoko passieren müssten, könnten sie mich nicht ausreichend schützen. In dem Büro des Bischofs neben der Kirche erhielt ich zwei Tage politisches Asyl, um vor der Guardia National in Sicherheit zu sein, bevor ich am Sonntag, den 1. März frühmorgens mit dem nächsten Flugzeug den kleinen Ort Puerto Ayacucho verließ.
Moskitonetze für Maria Wachtler
Seit über 50 Jahren arbeitet und lebt die Österreicherin Maria Wachtler bei den Yanomami in der Missionsstation der Salesianer am Fluß Ocamo. Die Salesianer bauten vor vielen Jahren dort und am weiteren Oberlauf des Orinoko in Mavaca, Mavaquita und Platanal Schulen für die Yanomami auf. Es unterrichten ausgebildete Yanomami-Lehrer die Kinder im bilingualen System. Das heißt, sie lernen Lesen und Schreiben in Spanisch und in ihrer Sprache Yanomamé. Maria Wachtler, die in diesem Jahr 80 Jahre alt wird, besucht regelmäßig die Yanomami-Dörfer am Oberen Ocamo. Es zeigt sich in den letzten Jahren, dass in den Dörfern, wo die Yanomami Moskitonetze benutzen, die Malariaerkrankungen erheblich zurückgegangen sind. Mit Geldern der Yanomami-Hilfe e.V. kaufte ich in Caracas feine Moskitostoffe, die Maria Wachtler den Yanomami-Frauen bringen wird. Sie nähen sich daraus die passenden Moskitonetze für ihre Hängematten.
Mikroskop für den Yanomami Gordova
Vor meinem Rückflug nach Deutschland konnte ich in Caracas mit viel Glück ein robustes Mikroskop für Gordova kaufen. In seinem Yanomami-Dorf Guayabal am Rio Padamo starben vor wenigen Wochen 25 Yanomami an Tuberkulose. Da es kein Mikroskop gab wurde die Erkrankung zu spät erkannt. Gordova hat vor ein paar Jahren bereits eine Ausbildung zum Mikroskopisten gemacht. Nun erhält er mit unserem neuen Mikroskop von der Ärztin Dagmaris einen Auffrischungskurs im Tropeninstitut CAICET von Puerto Ayacucho, um sicher und rechtzeitig die Erkrankungen anhand von Blut- und Speichelproben zu erkennen. Er freut sich riesig und ist sehr dankbar, dass er jetzt in seinem Dorf mit dem neuen Mikroskop arbeiten kann.
Momoi, die junge Yanomami-Mutter ist wieder zurück in ihrem Dorf
Im letzten Jahr haben wir weiterhin die Rehabilitation von Momoi im Krankenhaus von Puerto Ayacuchco unterstützt. Ihr Bein musste nach einem hochgiftigen Schlangenbiß amputiert werden. Mit einer Prothese lernte sie wieder laufen und kehrte vor einigen Monaten mit ihrem
Baby überglücklich in ihr abgelegenes Yanomami-Dorf Parima zurück.
Die Situation der Yanomami in Brasilien
In einer fünftägigen Operation hat die brasilianische Polizei im Dezember letzten Jahres zusammen mit der Funai (Indianerschutzbehörde) 260 Goldsucher aus dem Gebiet am Rio Uraricoera herausgeholt und verhaftet. Joao Catalano, der Koordinator der FUNAI, hat angekündigt, dass man diese Goldsucher für die Schäden, die sie im Wald angerichtet haben, zur Rechenschaft ziehen wolle. Weitere 800 Goldsucher werden noch versteckt im Wald vermutet.
Die Yanomami von Roraima kontrollieren selbst ihr Gebiet. Sobald sie illegal arbeitende Goldsucher entdecken oder ein Flugzeug sehen, das Nachschub für die Goldsucher über den Urwald abwerfen will, wird die Indianerschutzbehörde FUNAI über Sprechfunk informiert. Davi Kopenawa, der Sprecher der Yanomami-Organisation Hutukara, macht Druck, damit die Polizei und die Funai ihre Arbeit zum Schutz des Yanomamigebietes übernimmt. Leider fehlen auch in diesem Gebiet noch viele Sprechfunkgeräte, mit denen alle Yanomami-Dörfer sich über Funk melden können, wenn Gefahr durch Goldsucher droht.
Besuch von Anna Ballester
Im Oktober 2014 lud ichAnna in meineWohngemeinschaft nach Blumenthal ein.Zusammen hielten wir vieleVorträge an Schulen in Schleswig-Holstein. Anna war sehr gerührt vom großen Interesse der Schüler an den Yanomami. Besonders waren die Schüler natürlich auch daran interessiert, warum eine Französin seit 19 Jahren bei den Yanomami im Urwald lebt.
Im letzten Jahr organisierte Anna in ihrer Schule viele Bildungskurse für die Yanomami. Ernährung, Gesundheit, Krankenbehandlung und politische Bildung waren die Themen. Eines der wesentlichen Ziele ihrer Arbeit ist es, die Yanomami auf die Gefahren von außen vorzubereiten. Es soll verhindert werden, dass die Yanomami unvorbereitet den Verlockungen der westlichen Welt erliegen, ohne die möglichen Konsequenzen eines solchen Wandels zu kennen. Dazu müssen sie sich ihrer eigenen Kultur, ihrer Lebensgewohnheiten und ihrer Stärken und Schwächen bewusst sein. Bewahren und Wertschätzen der eigenen Kultur ist daher ein wichtiges Ziel der Projekte. Mit unserem Sprechfunkgerät hält Anna Kontakt zu den Yanomami-Dörfern am Rio Maraia und kann so die Kurstermine mit den Yanomami absprechen.
In meiner WG hielt Anna einen beeindruckenden Vortrag für unsere Yanomami-Freundeskreis-Mitglieder. An dem langen Abend gab es die einmalige Gelegenheit sie persönlich kennenzulernen. Viele waren beeindruckt von ihrer Authenzität und ihrem jahrelangen Engagement für die Yanomami. Zum Abschluss ihrer Reise hatten wir Gespräche mit der Organisation Limpopo e.V. in Berlin, die für die nächsten zwei Jahre die Arbeit von Anna mit unterstützen wird.
Eventuell bekommt Anna noch in diesem Jahr in ihrer Schule eine Internetverbindung über Satellit, finanziert von der brasilianischen Regierung. Dann kann sie gute und schlechte Nachrichten direkt von ihrer Schule aus an uns schicken und muss nicht für eine E-mail stundenlang mit dem Kanu zum nächsten Dorf nach Santa Isabel fahren.
Zusammenarbeit und weitere Unterstützung
Die drei Yanomami-Organisationen Hutukara, Kurikama und Horonami sind auf dem besten Weg zur Selbstständigkeit. Im Okober 2015 wird eine Versammlung der brasilianischen Yanomami in Bichu Acu stattfinden. Anschließend treffen sich die Vertreter aller Yanomami- Organisationen in Venezuela, um sich auszutauschen und von den Erfahrungen der anderen zu lernen.
Die fünf Sprechfunkgeräte und das Mikroskop für die medizinische Versorgung, die ich aus Sicherheitsgründen in Deutschland ließ, werden in einigen Wochen von einem vertrauten Schweizer Geschäftsmann sicher durch den Zoll nach Venezuela gebracht und der Yanomami-Organisation Horonami in Puerto Ayacucho übergeben, die die Sprechfunkgeräte in den wichtigsten Dörfern installieren wird. Im Oktober 2015 werde ich selbst wieder nach Brasilien und Venezuela fahren und an den Versammlungen der Yanomami teilnehmen. Bis dahin möchte ich noch viele Vorträge hier in Deutschland halten.
Danksagung
Wieder haben in diesem Jahr viele Schulen und einzelne Schüler nach den Vorträgen Aktionen und Benefizveranstaltungen für die Yanomami durchgeführt.
Klasse 5b, 6b, 8a der Goetheschule Hannover – Klasse 5b und 5c der Hohe Geest-Schule Hohenwestedt – Klasse 6c des Gymnasiums Kronshagen Kiel – Spendenaktion von Oskar, Joni, Lillie und Lea von der Lindenschule Bordesholm – Schulfest der Lindenschule Bordesholm – Flohmarkt des Gymnasiums Melle – Solidaritätsmarsch der Maria-Ward-Schulen aus Altötting in Bayern, Kaffee-und Kuchenverkauf der Klasse 8 Klee der PAB-Gesamtschule, Standort Werther, Kirchenkollekte der Konfirmanden der Gemeinde Westensee.
Stiftung und Vereine
Tulisa-Stiftung-Kinderfonds aus Bonn, Dr. Dirk Englisch,
Lebensraum Regenwald e.V. aus Nürnberg , Roland Zeh,
Hochseilgarten Altenhof bei Eckernförde, Henning Rohweder
Neues Leben – Wahres Leben e.V. aus Puergen,
SOS-Regenwald in Wels aus Österreich, Richard Weixler,
Eine Welt Kreis „Sankt Martin“ der Katholische Pfarrgemeinde Mehring Limpopo e.V. aus Berlin
Über unsere Homepage www.yanomami-hilfe.de erhielten wir außerdem Spenden von Einzelpersonen.
Ein herzliches Dankeschön an die Spender
Ilse Zaja, Jasmin Neumayr, Christhard Kotte, Nikolaus Saller, Henning Köhlert, Asina Fischer, Elisabeth Albert, Oliver Schöning, Petra Kammeier, Dagmar und Dietmar Volkers, Birgit Rüter, Marita Möller, Gisela Lammers, Petra Plininger, Graeme Currie, Heike Muhlbach, Monika Kienass.
Danke an alle Yanomami-Freundeskreis-Mitglieder, die mit ihren regelmäßigen Beiträgen eine sichere Planung und Durchführung für unsere Yanomamiarbeit möglich machen!
Ein Dankeschön auch an alle Lehrer in Deutschland, die mich in 25 Jahren immer wieder zu Vorträgen an Ihren Schulen einladen. In mehreren deutschen Schulbüchern findet man inzwischen die Yanomami als Vertreter eines bedrohten Regenwaldvolkes.
Großen Respekt habe ich für meine Freunde in Caracas und Puerto Ayacucho, deren Namen ich nicht nennen darf, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Trotz täglicher Repressionen und Bedrohungen arbeiten sie in ihren kleinen Nichtregierungs-Organisationen so gut sie können für Freiheit und ein bisschen mehr Gerechtigkeit!
Ich hoffe, dass es in Venezuela noch in diesem Jahr zu einem Regierungswechsel kommt und alle politischen Gefangenen freigelassen werden, dass die politische Unterdrückung Andersdenkender und die systematischen Menschenrechtsverletzungen in Venezuela durch den Pseudo-Sozialismus der Maduro-Regierung beendet werden. Die Verteidigung der Menschenrechte ist keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates. Sie ist eine Pflicht!
Einen persönlichen Dank möchte ich an Fin Walden schicken, der mir in der gefährlichen Zeit in Puerto Ayacuchco von Deutschland aus per E-mail und Telefon zur Seite stand.
Schlusswort
Die Yanomami haben erkannt, dass sie den Kampf für ihre Rechte gemeinsam mit ihren Organisationen Hutukara, Horonami und Kurikama führen müssen. Der Druck von Außen und die Gefahren durch Goldsucher werden leider niemals aufhören. Wir mit unserer Yanomami-Hilfe e.V. können die Yanomami auf ihrem Weg nach Selbstbestimmung begleiten und unterstützen. Für eure weitere Unterstützung bedanke ich mich im Namen der Yanomami.
„Aweih, Totihitawe“ – Vielen Dank! Herzliche Grüße